Hochgeehrter Herr!

Sie haben mir durch Ihre gütigen Zeilen eine ebenso grosse Freude als Ehre erwiesen, und weiss ich in der That kaum, wie ich mich für das in Aussicht gestellte Untersuchungsmaterial dankbar beweisen kann.² Ich hoffe durch eine möglichst sorgfältige und gewissenhafte Prüfung jener so interessanten und wichtigen Objecte mich Ihrer grossen Güte und Ihres Vertrauens einigermassen würdig zu zeigen. Ich werde die bezeichneten Gegenstände mit dem grössten Danke acceptiren. Da ich bislang nur die Larven und Puppen von Lepadiden untersuchen könnte, so würde ich Ihnen auch besonders verpflichtet sein, wenn Sie mir vielleicht die Gelegenheit verschaffen könnten, die Puppen von Balanus zu examiniren; ich sollte denken, die Post würde ein solch’ kleines Kästchen, welches ich Sie bitten würde, an das Königliche zoologische Institut zu adressiren, leicht annehmen und beförderen—

In einer kleinen Notiz, die ich neben mehreren Arbeiten mir erlaubt habe an Sie in Kreuzband abzusenden, habe ich schon 1862 den Versuch gemacht, den Cirripedienleib auf den der Copepoden morphologisch zurückzuführen.³ Meine neueren Studien der Larven, Puppen und jungen in Puppen eingeschlossenen Cirripedien, haben hoffe ich meine damalige Zurückführung ziemlich sicher gestellt.⁴ Die Organe in den Hörnern der Larve sind jedenfalls Sinnesorgane und mit Fäden ausgestattet den Sinnesfäden (Leydigschen Organen) niederer Crustaceen vergleichbar, sie sind offenbar dasselbe, was Sie als Gehörorgane in der Puppe dargelegt haben, deren Stirnecken den Stirnhörnern der Larve entsprechen.⁵ Die feinere Bestimmung dieser Organe ist leider nur an frischen Puppen möglich, ich konnte leider nur Spiritusexemplare untersuchen.

Bezüglich der Schrift von Wagner⁶ dürfte wohl auch hervorzuheben sein, dass die allmähligen tellurischen und klimatischen Veränderungen als Ursache der Veränderungen in den Lebensbedingungen und Wechselbeziehungen der Organismen viel zu gering geschätzt worden sind. Die Migration mag besonders in Betracht kommen zur Erklärung der räumlich neben einander enstehenden geographischen Varietäten, die letztern dagegen zur Erklärung der zeitlich aufeinanderfolgenden Abänderungen. Im letzteren Falle ist die Migration secundär und Folge nicht wie Wagner glaubt primäre Ursache. Auch haben Sie, sollte ich denken, durch die Darlegung der 2 erdachten Beispiele, insbesondere der langbeinigen schnellern und kurzer beinigen Wolfrasse sehr wahrscheinlich gemacht, dass auch ohne so strenge Isolierung, wie sie Hochgebirge, Ströme und Meere bedingen, Varietäten räumlich neben einander hervorgehn können. Das hat Wagner nicht widerlegt, sondern nur seine Behauptung einfach entgegengehalten—.

Es gereicht mir zur besondern Ehre, Ihnen, hochverehrter Herr, meine Photographie beilegen zu dürfen.⁷ Ich würde mich glücklich schätzen, die Ihrige mit Ihrer eigenhändigen Namensunterschrift zu besitzen und in meinem zoologischen Album an die Spitze der Naturforscher stellen zu können, die durch ihre Arbeiten in die Entwicklung der Wissenschaft gewaltig eingreifend, umgestaltend und aufbauend gewirkt haben.

Dass R Leuckart ⁸ einen Ruf nach Leipzig erhalten und angenommen hat, wird Ihnen wohl noch nicht bekannt sein.

Mit ausgezeichter Hochachtung und Verehrung unterzeichne ich als Ihr ergebenster | C Claus

P.S. In der kleinen Schrift “über die Copepodenfauna Nizza’s im Sinne Darwin’s habe ich die Bemerkungen Fr. Müller’s über die zwei Männchen von Tanaïs d. (Riecher und Packer) in ihrem Werthe in Zweifel gezogen.⁹ Ich darf mir wohl erlauben, Ihnen uber die Naupliuslarven der Garneelen meine Zweifel nicht vorzuenthalten. Fr. Müller hat nicht bewiesen, weder dass die sog. Naupliuslarven aus den Eiern von Peneus hervorgingen noch dass die Zoëastadien nach Abstreifung der Haut aus den Naupliuslarven sich entwickelten. Das neben einander Vorkommen der Naupliusformen und Zoestadien berechtigt nicht zu dem Schlusse, dass diese die jüngeren Stadien der letzteren sein, was noch zu beweisen ist.¹⁰

Es mag vollkommen wahr sein, aber die Sicherheit fehlt. Meine Zweifel aber sind nunmehr geradezu angeregt durch die Grösse der Eier von einer nicht näher bestimmten Peneus art. Ein so grosses Ei lässt auf die vollkommenere Ausbildung des Embryos und der ausschlüpfenden Larve schliessen—

In etwa vier Wochen fangen die Ferien an und ich habe dann sechs Wochen freie Zeit, um mich ausschlieslich der Cirripedienarbeit widmen zu können. Sollten Sie indessen, hochverehrter Herr, bis dahin nicht wohl Zeit haben, mir das Material zuzusenden, so würde ich auch bis in den Sommer warten können, ich möchte um keinen Preis Ihre kostbare Zeit im unrechten Augenblick in Anspruch nehmen. Ihr | C Claus