Verehrtester Herr Darwin!

Vor einigen Wochen machte ich eine kleine Beobachtung an Canarienvögeln, die mir interessant genug zu sein scheint, Sie Ihnen mitzutheilen. Da ich im Augenblick die nöthige Literatur nicht zur Hand habe, so weiss ich allerdings nicht, ob sie ganz neu ist. Die Beobachtung ist folgende:

In einem Käfig befanden sich zwei weibliche und ein männlicher Canarienvogel. Das Männchen interessirte sich wie es schien, für beide Weibchen gleichmässig. Als dann eins der beiden Weibchen aus dem Käfig und in einen andern, aber in demselben Zimmer befindlichen gebracht wurde, war bald ein bedeutender Unterschied bemerkbar. Um das im Käfig gebliebene Weibchen kümmerte sich das Männchen gar nicht; im Gegentheil, er biss das Weibchen fortwährend, so dass dieses zuletzt ganz ängstlich in einer Ecke des Käfigs sass und augenscheinlich grosse Furcht hatte. Das zweite Weibchen dagegen lockte es fortwährend, indem es nach dem Streit mit dem ersten Weibchen immer sehr hübsch sang.²

Keiner von meinen Bekannten, welche Canarienvögel besitzen, hatte je eine solche Beobachtung gemacht. Wie mag nun aber wol das sonderbare Verhalten des Männchen zu erklären sein? Wesshalb behandelte das Männchen das Weibchen nicht ebenso schlecht, als das zweite Weibchen auch noch im Käfig war? Ich habe nie gesehen, dass es vorher das Weibchen gebissen hat und auch keiner von meiner Familie hatte es jemals gesehen.

Sollte Sie diese kleine Beobachtung interessiren, so würde es mich sehr freuen; wenn Ihnen dieselbe schon bekannt sein sollte, so bitte ich die Mittheilung meinem Interesse an der Sache zu Gute halten zu wollen.

Hochachtungsvoll | ergebenst | Ihr | Wilhelm Breitenbach, | cand. rer. nat.³ Unna 17. April. 1879.